London, ca. 1950. Hester Collyer, jung und schön, ist mit dem wesentlich älteren Richter William Collyer verheiratet und führt ein unerfülltes Dasein. Bis sie sich in Freddie Page verliebt, einen jüngeren Freund ihres Mannes und ehemaligen Piloten der Royal Air Force. Als ihre Untreue ans Licht kommt, verlässt sie ihren Mann und das gutbürgerliche Milieu. Ihr Zusammenleben mit Freddie erweist sich aber als schwierig, und Hester findet nicht aus ihrer täglichen Isolation heraus. Ein Selbstmordversuch scheitert. Der schockierte Liebhaber zieht sich vor ihr zurück.
Der Plot eines Theaterstücks, das Terence Rattigan 1954 verfasste. 1956 wurde es von Anatole Litvak mit Vivien Leigh und Kenneth More in den Hauptrollen verfilmt. Der 1954 in Liverpool geborene Regisseur Terence Davies („Still lives“, „Distant Voices“, „The Neon Bible“) hat nun ein Remake gedreht.
Ein Spaziergänger zwischen den Zeiten
Er erzählt diese scheinbar einfache Geschichte in gemäldeartigen Bildern. Sie wirken wie Bühnenbilder, die aus einer anderen Epoche beunruhigend an unsere Zeit klopfen. Damit setzt Davies unserer Moderne eine antiquierte Welt entgegen, die unruhig zu werden beginnt. Perfekte Interieurs und künstlich anmutenden Aussenszenen stellen den Bruch vom Gestern zum Heute dar. Gleichzeitig verbindet die Erinnerung, unsichtbar, Vergangenes mit Gegenwärtigem. Im Wechsel zwischen den Zeiten – damals und Heute – bleiben die Gefühle aktuell. Verändert haben sich die Umstände und mit ihnen unsere Daseinsformen. Zumindest was unsere westliche Zivilisation betrifft.
Das meist etwas kühl eingesetzte Licht taucht die Szenerie in zurückhaltende Farben, die dennoch leuchten. In dieser stilisierten Ästhetik werden unsere Sinne geschärft. Man hat Zeit die Dialoge in diesen ruhigen (Theater) – Dekors mit Spannung zu verfolgen.
Szenen einer Einsamkeit
Liebeskummer ist zeitlos. Wenn man verlassen wird, möchte man sterben. Der Film beginnt im Dunkeln mit der Stimme von Hester, gespielt von Rachel Weisz. Traurig, brüchig, fast versagend formuliert sie Worte, aus denen man als Zuschauer ihre Not und das Echo eigener Liebeserfahrungen hört. Nur die Umgebung ist eine andere. Unter lautem Musikeinsatz eines Violincello Konzertes folgen Hesters Vorbereitungen für ihren Selbstmord, die akribisch häuslich anmuten. Durch das überhöht eingesetzte Mittel der Musik glaubt man einem Filmzitat aus den 1950 – er Jahren beizuwohnen.
Erst nach dem Scheitern ihres Suizidversuches landet man zeitgleich mit der Protagonistin in einem stillen Raum. Das Melodramatische ihrer in Szene gesetzten, aber misslungenen Tat ist dem Ernst des Lebens gewichen. Stimmen werden hörbar, die Hester schonungslos zu sich bringen und den Zuschauer in ihre neue Wirklichkeit ziehen.
Für Hester verläuft die Zeit, seitdem sie ihren Mann verlassen hat, nicht mehr geradlinig, sondern im hin und her wandeln zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Genauso für ihren Ehemann (Simon Russel Beale), der nicht wahrhaben will, dass sich ihre Beziehung verändert hat. Und ihr Liebhaber (Tom Hiddleston) findet als ehemaliger Kriegspilot im Alltagsleben einer Gegenwart, die keine Kriegshelden mehr braucht, keinen Landeplatz.
Virtuos führt Terence Davies sein Publikum durch historische Hintergründe. Darin teilt es die emotionale Ebene der Figuren. So bringt man Verständnis für eine Gesellschaft auf, die nicht mehr die Unsere ist, ohne die aber die heutigen Verhältnisse zwischen den Geschlechtern nicht möglich wären.
Aufbruch ohne Ablenkung
Es ist eine Gesellschaft in der kein Überfluss herrscht. Die vom Krieg traumatisiert ist. In der Leidenschaften nicht zerredet – sondern wirklich empfunden werden. Man gewinnt den Eindruck, dass es nicht die eigenen Hauswände sind, die Hesters Leben, während ihrer Ehe mit William oder ihres Zusammenlebens mit Freddie einengen. Vielmehr scheint sich Hester von ihrer Umgebung verlassen zu fühlen. Sie selbst hat einen Prozess in Gang gebracht, für den sie noch keine Sprache gefunden hat.
Diese Figur kämpft um innere und äussere Unabhängigkeit. Gegen die Gesellschaft in der sie lebt. Sie hat die Möglichkeit aus einem goldenen Käfig auszubrechen. Im Gegensatz zum kollektiven Bewusstsein der Frauen ihrer Zeit möchte Hester sich nicht auf häusliche Betätigung reduzieren lassen. Den Rat der Schwiegermutter – Leidenschaften sollten berechenbar bleiben – lehnt sie ab. Heute werden Ehen am laufenden Band geschieden. Hester steht alleine im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ihres Umfeldes. Dieses ist fasziniert und beunruhigt von ihr. Sie ist als Frau ihrer Zeit voraus. Das macht sie einsam. Aus heutiger Sicht könnte man sie bemitleiden: Kein Therapeut, der ihre Kindheit mit ihr durchgeht. Keine Selbsthilfegruppe geschiedener Frauen, mit denen sie sich austauschen könnte. Sie ist ganz auf sich selbst gestellt. Vielleicht die beste Voraussetzung für ihre Emanzipation. Man kann sie auch beneiden: Um eine Umgebung, die ihr einen Aufbruch ohne Ablenkung und weitere Abhängigkeiten ermöglicht.
Hester weist ihre Umgebung zwischen den noch sichtbaren Kriegstrümmern – in denen Kinder ohne materiellen Güter spielen – auf die Unwägbarkeiten einer nicht berechenbaren Zukunft hin, für die noch niemand bereit ist. Wie das kubistische Gemälde von George Braque, das einen isolierten Platz im Museum einnimmt, das sie eines Tages mit Freddie besucht.
Kriegsschäden statt Müllhalden. Der Film leistet Erinnerungsarbeit, um eine Brücke zwischen damaligen und heutigen Zuständen zu spannen.
Die Sprache bildet das eigentliche Zentrum dieses Films. Hester be – stimmt durch viele Stationen der Einsamkeit hindurch ihren Weg in die Unabhängigkeit. Rachel Weisz verfügt über ein dunkles Timbre, das stark wird und trotzdem weich bleibt. In den Wiederbegegnungen mit ihrem Mann William entstehen Inseln der Aussprache. Es sind Gelegenheiten für beide ihr Erleben in Worte zu fassen. Worte, aus denen sich, ohne dass sie es merken, ihre neue Existenz zu formen beginnt. Diese Gespräche bieten Hester die Möglichkeit einer neuen Selbstbestimmung: Er kann sie nicht zurückgewinnen, aber er ist ein Teil von ihr geworden mit dem sie sich versöhnt hat.
Ihre ältere Hausbesitzerin sagt einmal zu ihr, wahre Liebe entstehe erst, wenn man jemandem den Hintern wische und seine Laken wechsle. Niemand sei es wert, dass man sich seinetwegen umbringe. Unterschiedlicher könnten die beiden Frauen nicht sein, wenn Hester der Älteren zusieht, wie diese ihren alten Mann pflegt, während sie darum ringt ihren jugendlichen Liebhaber nicht zu verlieren. Aber die Gefühle und Gedanken dieser beiden Frauen berühren einander in dieser Szene. Die Frauen kämpfen auf unterschiedliche Art darum, ein Leben nach eigenen Vorstellungen führen zu dürfen.
Bevor Freddie geht, putzt Hester seine Schuhe. Ein letztes Mal vollzieht sie dieses Ritual, um die Zeit mit ihrem Liebhaber zum Stillstand zu bringen und es dann für immer abzulegen. Stellvertretend für alle Frauen, die nach ihr kommen werden. In dieser stillen Szene wird eine ganze Epoche in Würde zu Ende gebracht. Ariela Sarbacher