von Gerhart Hauptmann am Schauspielhaus Stuttgart

Liebe Ruth,

den visuellen Bezug zu Heute stellt die Inszenierung von Georg Schmiedleitner durch Berge von Jeans her, die von den Webern zusammengefaltet und wieder weggeworfen werden. Diese sinnentleerte, monotone Tätigkeit sichert ihr Überleben nicht. Wehrlos ausgesetzt stehen sie auf einem unstabilen Jeansberg, drohen abzustürzen, hängen an ihm und hungern. Jeans fallen auch aus dem Schnürboden, wie ein Übel, das nicht zu stoppen ist. Zu Beginn stützen die Weber das Glashaus ihres Fabrikanten Dreissiger mit hochgereckten Armen und tragen es trippelnd bis zur Rampe. Über ihnen schwebt unerreichbar ihr Arbeitgeber und sinniert im goldenen Anzug über das gebeutelte Dasein des Unternehmers nach. Er monologisiert am Mikrofon in ein schwarzes Loch, versteigt sich in seine Theorien, ohne in Beziehung zu seiner Umwelt zu treten, ohne das Elend seiner Arbeiter wahrzunehmen. Bis Moritz Jäger, ein Soldat aus dem Militär zurückkommt, wo er sich hochgedient hat, und im Unterschied zu den anderen Webern hat er jetzt Geld. Er wird sie von einer Revolution überzeugen und Dreissigers Glaspalast beginnt wie ein Schiff zu schwanken.
Es sind vor allem die Bilder, die den Regisseur zu interessieren scheinen, sie sind stark und statisch. Das Einzelschicksal der Emilie blitzt unter den holzschnittartiger angelegten Figuren der anderen auf. Bei ihr ahnt man jenseits der Sprache was Armut bedeutet. Sie ist über das Wehklagen hinaus, ihr Körper schmiegt sich an die wohlhabenden Männer, ihr Blick hungert.
Die Baumwollhose, deren Name aus der französischen Form des Städtenamens Genua – Gênes – stammt und den die Amerikaner in Jeans verwandelten, ist der einzige ästhetische Hinweis zur Gegenwart und schafft gleichzeitig auch die Verbindung zur Vergangenheit. Die Arbeitermassen, der Fabrikant und seine Frau, sie scheinen aus einer anderen Zeit, vielleicht aus den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts? Die gelben Westen kommen einem in den Sinn, ein Präsident aus Frankreich, der sein Volk nicht kennt, ohne, dass darauf gedeutet wird. Gefühle werden in dieser Inszenierung ausgespart, dafür erlebt man wie die Weber unter Moritz Jäger allmählich in Bewegung kommen und das erfährt man als Zuschauer parallel zu den Webern als physischen, unsentimentalen Akt, der endlich auch die Statik der vorangegangenen Akte aufbricht. Es wird einem nicht leicht gemacht, man wird zum Mitdenken gezwungen, man bleibt aktiv beim Zusehen und auch hinterher, beim Hinterfragen von dem was man gesehen und gehört hat. Ariela Sarbacher 17.01.2019

 

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